15.11.2024
Am 14. November 2024 fand der 8. Fachplanertag „Barrierefreies Planen und Bauen“ der Ingenieurkammer Hessen (IngKH) als digitale Fortbildungsveranstaltung statt. Zahlreiche Fachleute aus Architektur und Bauwesen kamen zusammen, um sich über aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen im barrierefreien Planen und Bauen auszutauschen.
Die Begrüßung übernahmen Chantal Stamm, Geschäftsführerin der Ingenieur- Akademie Hessen GmbH, und Dipl.-Ing. Maynhard Schwarz, Vorsitzender der Fachgruppe Barrierefreies Planen und Bauen.
Clemens Beraus, Referent des Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, richtete in seinem Grußwort den Fokus auf den zunehmenden Bedarf an barrierefreien Wohnungen. Er betonte, dass allein in Hessen 77.000 solcher Wohnungen fehlen und R-Wohnungen, die für Rollstuhlnutzer geeignet sind, besonders benötigt werden. Er warnte, dass Kostendruck und vereinfachte baurechtliche Vorgaben die Umsetzung der Barrierefreiheit erschweren könnten. Darüber hinaus hob er hervor, dass barrierefreies Wohnen und Leben ein stetiger Prozess ist und es von zentraler Bedeutung sei, hierbei immer beharrlich am Thema zu bleiben.
Barrierefreiheit als gesellschaftliche und rechtliche Aufgabe
Dipl.-Ing. Maynhard Schwarz eröffnete die Vorträge mit einer Analyse zur zukünftigen Entwicklung der baurechtlichen Anforderungen. Er stellte klar, dass pflegegerechte und barrierefreie Grundsätze für Neubauten eine langfristige Entlastung für die Gesellschaft bieten können. Diese Maßnahmen seien nicht nur nachhaltiger, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll, da die Kosten für spätere Umbauten oft höher ausfielen. Schwarz erläuterte außerdem, dass die Hessische Bauordnung Mindeststandards für Barrierefreiheit vorgibt, wie etwa Türbreiten und Bewegungsflächen, die eine flexible und nachhaltige Nutzung ermöglichen. Er betonte, dass Gebäude durch vorausschauende Planung leichter an individuelle Bedürfnisse angepasst werden können, wodurch spätere teure Umbauten vermieden werden.
Bedarf und Kosten im Überblick
Dipl.-Ing. Tanja Buß thematisierte in ihrem Vortrag den großen Bedarf an barrierefreiem Wohnraum. Laut Studien sind nur 1,5 % der deutschen Wohnungen „barrierereduziert“. Gleichzeitig prognostizieren Analysen, dass bis 2035 eine Versorgungslücke von rund zwei Millionen Wohnungen entsteht. Buß präsentierte zudem Erkenntnisse über die Mehrkosten für barrierefrei-es Bauen. So belaufen sich die Mehrkosten nach DIN 18040-2 auf 1,7 % der Herstellungskosten. Eine Untersuchung der TERRAGON-Studie von 2017 ergänzt diese Zahlen: Sie beziffert die Mehrkosten auf 1,26 % der reinen Baukosten und 0,86 % der Gesamtinvestition. In seinem Vortrag „1,6 Prozent Mehrkosten für vollständige barrierefreie Wohnungen nach DIN-Standard – das Projekt Wohnen am Schönwasserpark, Krefeld“ erläuterte Dipl.-Ing. Axel Grommann, M.Sc., M.Sc. Architekt, die rechtlichen Rahmenbedingungen für barrierefreies Bauen in Nordrhein-Westfalen. Dabei stellte er die eingeschränkte Anwendung der DIN 18040-2 sowie den Wegfall der R-Quote bei Neubauten vor. Er ging zudem auf die Wohnraumförderungsbestimmungen ein und zeigte auf, dass Zusatzdarlehen für Barrierefreiheit innerhalb von Wohnungen nur auf R-Wohnungen begrenzt sind. Am Beispiel des Projekts „Glockenspitz“ in Krefeld präsentierte er eine Kostenaufstellung und zeigte, wie die Maßnahmen nach DIN 18040-2 realisiert werden konnten.
Rechtsrahmen und Zukunftsperspektiven
Mit ihrem Vortrag „Aktuelles aus dem Bauordnungsrecht und welche Hintergründe haben die derzeitigen Regelungen“ beleuchtete Brigitte Schneider vom Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen die rechtlichen Rahmenbedingungen und Entwicklungen. Sie erklärte, dass in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen gemäß der Hessischen Bauordnung (HBO) mindestens 20 % der Wohnungen barrierefrei erreichbar und zugänglich sein müssen. Schneider betonte außerdem, dass die HBO Mindestanforderungen vorgibt und weitergehende Maßnahmen freiwillig umgesetzt werden können, um Planungssicherheit zu gewährleisten. In ihrem Vortrag ging sie auch auf die Änderung der DIN 18040 Teil 1 und 2 ein. Die neue DIN 18040 wird nur bauordnungsrechtlich relevant, wenn sie als Technische Baubestimmung eingeführt wird, mit einer Anpassung der Muster-Verwaltungsvorschrift durch die PG Barrierefreiheit.
Digitale Unterstützung für barrierefreies Planen
Amelie Hofer, M.Sc. präsentierte ihre Web-App „DINable“, die sie im Rahmen ihrer Masterarbeit entwickelt hat. Die App ermöglicht es, Gebäudeplanungen im IFC-Format auf Barrierefreiheit nach DIN 18040-2 zu überprüfen. Planungen können direkt im Browser angepasst und erneut exportiert werden. Ziel der App ist es, ein besseres Verständnis für die DIN-Regelungen zu fördern und deren praktische Anwendung zu erleichtern. Mit textlichen und visuellen Rückmeldungen sowie beispielhaften Nutzungsanimationen soll „DINable“ Planenden ein tieferes Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen vermitteln.
Der 8. Fachplanertag der Ingenieurkammer Hessen bot umfassende Einblicke in die rechtlichen, technischen und gesellschaftlichen Aspekte des barrierefreien Bauens. Die Veranstaltung zeigte deutlich, dass Barrierefreiheit ein fortlaufender Prozess ist, der sowohl pragmatische als auch innovative Ansätze erfordert. Die vorgestellten Projekte und Werkzeuge unterstrichen die Machbarkeit barrierefreier Lösungen und ihre Bedeutung für eine inklusivere Gesellschaft.